Kostümbild zu DIALOGUES DES CARMELITES Oper Basel 2009

©T+T Fotografie, Tanja Dorendorf

Musikalische Leitung: Cornelius Meister. Regie: Benedikt von Peter. Bühne: Natascha von Steiger

 

Opernwelt 5/2009: Benedikt von Peter, der die Oper jetzt am Theater Basel herausgebracht hat, versucht das schier Unmögliche, nämlich die von Poulenc kunstvoll verfugten ideologischen und musikalisch-theatralen Schichten voneinander zu trennen, um sie dann in einer Art szenischer Collage auf mehreren Ebenen vorzuführen. Entstanden ist auf diese Weise ein Lehrstück, das uns hinter die Mechanismen der Geschichte blicken, ja gleichsam in den Köpfen der Figuren lesen lässt und doch der Musik nichts von ihrer berührenden Wirkung nimmt. Die Schlüsselrolle in Peters radikaler Dekonstruktion (die die Schlussszene der zeichenhaft vollzogenen Hinrichtung voranstellt, im Übrigen aber in den Ablauf der Handlung nicht eingreift) fällt dabei Mère Marie zu. Sie, die ihre Mitschwestern ins Martyrium einschwor, entging 1794 als Einzige der Guillotine. In Peters analytischer Rekonstruktion wird sie (angeregt durch Le Fort) zur zentralen Figur: Indem sie das Geschehen aus der Rückschau der Überlebenden aufrollt, geht sie zugleich ihrer quälenden Schuld gegenüber der jungen Novizin Blanche nach, die ihr von der alten Priorin wie eine Tochter ans Herz gelegt und ihrem Schutz anbefohlen war. Die Bühne visualisiert Peters komplexe Sicht auf Poulencs Oper in einer Art szenischer Versuchsanordnung. Ein riesiges Metallgerüst bietet auf drei Etagen Platz für das in Gruppen geteilte Orchester – oben die Bläser, darunter die Streicher, ganz unten Harfen und Schlagwerk –, das auf diese Weise zum Motor und Herz des Dramas wird. Als optisches Zentrum zieht in der Mitte, in halber Höhe, das Hubpodium mit dem Lebensbereich von Mère Marie die Blicke auf sich – eine mit Bett, Tisch, Stuhl und allerlei Technik vollgestopfte Zelle, im Hintergrund vor einer Leinwand die Fotos der hingerichteten Schwestern. Hier spürt Marie ihrer Mitschuld nach. Es geht Peter aber nicht nur um Erinnerung, sondern zugleich um deren mediale Präsentation, ja Simulation (von der er die Oper selbst nicht ausschließt). Und so sehen wir, wie Marie, von einer Videokamera gefilmt, das grausige Geschehen in einer Art Tischtheater mit Bühnenbildmodellen und Pappfigurinen rekonstruiert – an zentralen Szenen wie dem qualvollen, verzweifelten Tod der alten Priorin oder der beklemmenden letzten Begegnung Blanches mit ihrem aus Frankreich flüchtenden Bruder ist sie ohnehin beteiligt.

Die letzten Stationen der Handlung – die Verhaftung der Nonnen, ihre Gefangenschaft und Hinrichtung – wird gezeigt, mit dem Blick des Philosophen Jean Baudrillard, nach Art eines Hollywood-Kostümfilms («Les Dialogues des Carmélites – The True Story») als «Agonie des Realen», als Verschwinden der Wirklichkeit in ihrer Repräsentation. Der Film wird mehrfach projiziert. Gleichzeitig sind wir live dabei, wie er «gemacht» wird. Authentizität aber, lehrt uns der Regisseur mit Brecht’schem Zeigefinger, wird nicht durch die Trugbilder der Illusion garantiert, sondern einzig durch die ästhetischen Brüche, die an diesem Abend aus dem Stück herausgefiltert und sichtbar gemacht werden.
Das beschreibt sich, nicht zuletzt wegen der überbordenden Detailfülle, schwieriger, als es sich ansieht, und hat jedenfalls das Publikum ganz in seinen Bann gezogen. Die Aufführung war der Triumph eines großen, stets die Machbarkeit von wie die Verführbarkeit durch Kunst reflektierenden Theaterspiels, das uns zur Distanz wie zum Nachdenken zwingt – zur kritischen Distanz gegenüber der unterschwelligen Ideologie des Stückes, zur Auseinandersetzung mit seiner (auch hier ungebrochenen) musikalisch-emotionalen Kraft, zum Nachdenken schließlich, weil Poulencs bohrende Fragen nach Sinn und Wahrheit des Lebens sich nicht im «katholischen Nebel» verlieren.