ENTWICKLUNG eines akustischen Bühnenbilds auf Grundlage der Wellenfeldsynthese

In Kooperation mit Wissenschaftsräumen soll ein Akustisches Bühnenbild entwickelt werden.

Heutige Surroundanlagen erfordern, dass man im Zentrum einer Lautsprecheranordnung, dem sogenannten “sweet spot”, sitzt, um optimale Räumlichkeit bei Musik oder Filmton zu erleben.

Bei Kugelwellen etwa ortet man die Schallquelle stets im Ursprung dieser Wellen, egal wo im Raum man sich aufhält! Dadurch wird eine wesentlich realistischere räumliche Wiedergabe ermöglicht. Beim ersten Hören ist der Unterschied oft frappierend.

Ein in der Praxis neues Verfahren, die Akustische Wellenfeldsynthese (WFS), kann diese Beschränkung überwinden, indem von zahlreichen Lautsprechern Schallwellen erzeugt werden, die ähnlich sind wie die Wellen, die von Schallquellen wie Sprechern oder Musikinstrumenten erzeugt werden.

Die Bühnenbildnerin Katrin Wittig will einen akustischen offenen Spiel-Raum für Zuschauer und Sprecher entwickeln.

Sprache und Handlung : Ziel ist es einen offenen TheaterRaum zu entwickeln, in dem elektronisch verstärkte Sprache und die, eine Situation erzeugenden Handlungen von Personen die einzigen minimalistischen theatralen Mittel und damit Untersuchungsgegenstand sind. Sprache und Handlung sind normaler Weise deckungsgleich. In dem zu entwickelnden TheaterRaum sollen sie das im ersten Moment auch sein. Im nächsten Moment sollen sie jedoch voneinander getrennt werden können; und das in einem offenen sichtbaren Vorgang. Dazu braucht es einen Raum, in dem Ort und Zeit absolute Imagination, also reine Vorstellungskraft und Erinnerung sind. Einen leeren Raum, in dem durch das Modelieren von Sprache, unabhängig vom Sprecher, psychoakustische Räume erschaffen werden können.

Dies scheint technisch mit dem 3D-Soundsystem möglich. Es basiert auf dem akustischen Denkmodell der Wellenfeldsynthese und ermöglicht zum einen, das Bewegen des Klangs im Raum per Touchpad und zum zweiten, das simultane “Mitgehen” des Klangs mit dem Klangerzeuger. Im zweiten Fall nutzt es die Daten, die eine Kamera generiert. – Um in der Imaginations- und damit in der Reflexionsleistung des Zuschauers noch viel weiter als z.B. mit einem Live-Hörspiel im Dolby Surround zu kommen, will Katrin Wittig mit Hilfe dieses Soundsystems verschiedene Möglichkeiten der Immersion der Zuschauer in Handlungswelten erproben.

Zum ersten mit Hilfe der polyphonen, polylokalen und polytemporalen Texte von Michel Vinaver, einem zeitgenössischen französischen Autor, der die Umwälzungen im 20. Jahrhundert durch Verweben, Stakkato, Crescendi und Decrescendi bis zur contrapunktischen Collage und zurück, die Ereignisse des Privaten Alltags und des Öffentlichen Globalen, direkt erfahrbar macht. Er komponiert Text zum einen wie in einem Requiem, einer Fuge oder einer Ouvertüre; zum anderen wie 12Tonmusik oder in einem dada-experiment.  Wie er sagt,  auf der Micro- und Makroebene. Dazu springt der Text in den Zeitebenen und in den Orts-ebenen hin&her und erzeugt letzlich eine Art “Rappeln” im Inneren, die Drift. – Dabei verzichtet er nicht auf Zusammenhänge, sondern verwendet Bedeutungsverklebungen und zwar in großen zeitlichen Bögen. – Trotzdem sind seine Arbeiten inspiriert von den Experimenten von John Cage. Weshalb in der Recherge zu Cage ein großer Teil der Vorarbeit liegen wird. Das Verweben von Texten, das Wiederkehren von Textfragmenten, das zu Crescendi sich Anhäufen von Texten usw. versucht die Verknüpfung mit dem Unterbewussten, gleich wie die Musik. – Das alltägliche Leben und die Musik haben diese Gemeinsamkeit. Beides kommt in einem positiven oder negativen Affekt zu Uns. Und wie psychische Störungen, die nach Hirnschäden auftreten, spüren wir z.B. die Beeinträchtigung der Merkfähigkeit, der Orientierung und der Erinnerung. Diese Drift im Inneren, dem emotionalen Raum, ist das was das Akustische Bühnenbild auf der inhaltlichen Ebene ausmachen wird.

Zum zweiten soll mit Live-Stimmen, genauer mit sichtbaren und unsichtbaren Live-Sprechern gearbeitet werden. Zusätzlich zu den psychoakustischen Möglichkeiten will soll die Sprache der Bewegungen im Leeren Raum nach Peter Brook weiterentwickelt werden, indem erstmal Spieler und Zuschauer sich auf einer Ebene begegnen, also nicht getrennt sind durch eine Rampe oder ähnlichem.  Dann sollen in diesem gemeinsamen Raum um ein Beispiel zu nennen  z.B. die Sprecher statisch bleiben und die Zuschauer mobil sein können; und im nächsten Moment die Sprecher optisch verschwinden, ihre Stimmen aber beweglich, also in der Situation bleiben. An diesen Übergängen, im Wechsel vom Realismus des “Jetzt sichtbaren” zum Surrealen “unsichtbaren” und zurück, liegen die zu untersuchenden Phänomene. Das klangliche Rein- und Rausgehen als der die emotionale Drift beschreibende Vorgang, soll durch reale Bewegungen im Raum, z.B. dem optische Rein- und Rausgehen konterkariert werden: die Stimme bleibt, die Person geht. Durch das Konterkarieren entsteht eine surreale räumliche Distanz zwischen den Sprechern selbst, die Untersuchungsgegenstand sein wird: Die Bewegungen der Sprecher stellen möglicherweise Situationen nach. Es gilt jedoch zu untersuchen, die Grenze zur realen Situation zu erhalten. – Zum anderen gilt es, die Stellen zu suchen, an denen eine Situation als real dargestellt werden muss. Aus diesen Gegensätzen sollen sich dem Zuschauer des akustischen Bühnenbilds reale a-logische Erfahrungsmomente eröffnen.

Das akustische Bühnenbild soll es auf diese Weise ermöglichen, soziale Prozesse, die “Handlung an sich”, “die Geste allein” in den Raum stellen zu können. Der Zuschauer wohnt den Handlungen bei, macht einen dreidimensionalen Spaziergang und kann dabei aus nächster Nähe im Moment den Handelnden beobachten; so nah wie einem bekannten Menschen oder jemanden, dem man nahe steht. Somit soll das Handeln von Menschen in den Focus gestellt werden. Über die Beobachtung und der darauf folgenden Reflexion des Beobachteten, entsteht das Versetzen des Zuschauers in seine eigene Feedbackschleife. Der Verstand fast die Situation nicht sofort, da der Text nur Bruchstücke für ihn hat. Die Emotion, der Bauch, der Gerechtigkeits- und Gleichgewichtssinn werden direkt angesprochen. Somit soll das akustische Bühnenbild im Zusammenspiel mit den Textfragmenten und den Möglichkeiten des Soundsystems die Zuschauer auf der gefühlsmäßigen Ebene abholen, a-logisch, poetisch und sinnlich. Selbstreflexion durch Erinnerungsleistung sind die erhofften Ergebnisse dieser Arbeitsweise.